von G. Vavra

Der 2018 verstorbene bedeutende italienische Marxist und Philosophieprofessor Domenico Losurdo veröffentlichte 2017 das Buch „Il marxismo occidentale. Come nacque, come morì, come può rinascere“, welches 2021 auf Deutsch als „Der Westliche Marxismus, Wie er entstand, verschied und auferstehen könnte“ erschien. In seinem Buch unterscheidet der Autor zwischen einem westlichen und einem östlichen Marxismus, die nunmehr seit über hundert Jahren getrennte Wege gehen.

Ich kann in diesem Text nicht auf den gesamten Inhalt des Buches eingehen, es lohnt sich dieses Werk selbst zu lesen. Es gibt jedoch einige grundlegende Lehren aus dem Text, die für uns Marxisten im Westen zentral sein sollten. Grundsätzlich will ich aber kurz umreißen, wen Losurdo als westliche Marxisten bezeichnet, und wen als östliche Marxisten.

Ein Großteil der Personen, die Losurdo näher behandelt, sind westliche Philosophen, die nur sehr oberflächlich etwas mit Marxismus zu tun haben, sich zwar auf Marx berufen, aber durchaus zum westlichen Mainstream zählen, also Leute wie Adorno, Foucault oder aktuell Žižek. Doch auch Trotzki „repräsentiert in hervorragender Art den westlichen Marxismus“ (S. 48). Aktuell besteht laut Losurdo die Gefahr des westlichen Marxismus, dass er sich der westlichen Kriegsideologie im „von Washington propagierten Kreuzzug gegen China und Russland“ unterwirft, unter anderem auch mit der These von „zwischenimperialistischen Kriegen“ (S. 230).

Im Kern kritisiert Losurdo immer wieder die „Besserwisserei“ der westlichen Marxisten, die außerdem einem starren Dogmatismus anhängen. Während östliche Marxisten kreativ versuchen, sich aus dem kolonialen Joch zu befreien, und dabei großartige Erfolge vorzuweisen haben, kritisieren westliche Marxisten jeden Akt der östlichen Marxisten, weil er nicht der reinen Lehre entspricht. Teilweise wird seitens der westlichen Marxisten sogar jegliche Ausübung von Macht an sich kritisiert, wobei ihr „Marxismus“ zu einer messianischen Utopie verkommt.

Die materielle Basis für die Unterscheidung zwischen westlichem und östlichem Marxismus liegt im jeweiligen Hauptwiderspruch der verschiedenen Gesellschaften. Während im Westen der Klassenwiderspruch dominiert, hat in kolonialen Gesellschaften die koloniale Knechtschaft eine herausragende Bedeutung. Insofern haben sich sozialistische Bewegungen in Entwicklungsländern stärker auf diesen Widerspruch gestützt, und sind damit erfolgreich geworden. Im Falle Russlands sieht Losurdo historisch beide Strömungen vertreten, wobei sich die westlichen Marxisten um Trotzki schließlich nicht durchsetzen konnten.

Wie der Titel des Buches schon beinhaltet, geht Losurdo davon aus, dass der westliche Marxismus nicht mehr am Leben ist, auch wenn er auch auf gegenwärtige „Marxisten“ eingeht, wie den Proimperialisten Žižek, jedoch kann man kaum davon sprechen, dass derartige vereinzelte Personen eine Bewegung repräsentieren würden. Zentral ist jedoch, dass Losurdo auch darauf eingeht, wie der westliche Marxismus wieder auferstehen könnte. Hierbei ist Losurdos Formulierung vielleicht etwas unpassend, denn wir, die ein Wiederaufleben der marxistischen Bewegung im Westen anstreben, wollen uns wohl kaum mit jenen identifizieren, die Losurdo zuvor als westliche Marxisten behandelt hat. Gleichzeitig haben aber diese Personen teils tatsächlich eine zentrale Rolle bei der Zerstörung der westlichen, marxistischen Bewegung gespielt.

Was sind nun unsere Aufgaben? Zunächst einmal schreibt Losurdo, dass die „die Exkommunikation, die der westliche dem östlichen Marxismus auferlegte, nicht das Ende des Exkommunizierten, sondern das Ende des Protagonisten der Exkommunikation förderte.“ (S. 261) In diesem Kontext nennt Losurdo auch drei Beispiele für kommunistische Parteien, von denen sich die westlichen Marxisten entsolidarisiert haben, nämlich die von China und Vietnam sowie in zunehmenden Maßen auch jene Kubas. Dieser Antagonismus zu den östlichen Marxisten ist also zu überwinden, und es gilt stattdessen auf Solidarität zu diesen Völkern und ihren Kommunistischen Parteien zu setzen.

Weiters ist für Losurdo die Überwindung jeder doktrinären Haltung notwendig, denn diese haben den westlichen Marxismus ursprünglich erst in jene Situation gebracht, die schließlich zu seinem Ableben führten. Und letztendlich fordert der Autor „die Fähigkeit, sich an der eigenen Zeit zu messen und eher zu philosophieren als zu prophezeien“. Diese Forderung ist in dem Kontext zu sehen, dass Losurdo den „westlichen Marxisten“ mangelnde Informiertheit vorwirft. So geht er auf die Berge von Zeitungen auf den Schreibtischen von Hegel und Marx ein, die man auf jenem Horkheimers wohl nicht fand, weil sie ihm entweder nicht zur Verfügung standen, „oder vielleicht hatte er auch weder Zeit noch Lust, sie zu lesen.“ (S. 255)

Es sei nochmals allen die Lektüre des Buches empfohlen. Doch gleichzeitig sei auch jeder Marxist aufgerufen, sich an diese Empfehlungen zu halten. Solidarität mit den sozialistischen Staaten und kommunistischen Parteien der Entwicklungsländer ist notwendig, und die unter westlichen Marxisten so präsente, chauvinistische Besserwisserei ist abzulehnen. Im Gegenteil gilt es von den „östlichen Marxisten“ zu lernen und auch Theorie aus diesen Ländern zu studieren, wie wir eben auch allgemein an unserer eigenen Bildung arbeiten müssen, und den Dogmatismus zu bekämpfen haben.