Unsere Geschichte als Sozialisten ist die Geschichte der sozialistischen und Arbeiterbewegung, so wie allgemein des fortschrittlichen Denkens und des Handelns im Sinne des Volkes, sowohl jene in Österreich als auch jene weltweit. Das Erbe dieser Geschichte gilt es hochzuhalten, und die Heldentaten aus unserer Geschichte können uns heute als Inspiration dienen. Man denke nur an die Aktivisten, die gegen den Ersten Weltkrieg protestierten, an die Arbeiter, die das Rote Wien erbauten oder an die Februarkämpfer, Spanienkämpfer und die Partisanen, welche gegen die verschiedenen faschistischen Regimes kämpften.
Unter Sozialisten ist allerdings kaum etwas so umstritten, wie die Geschichte des Sozialismus. Auf gewisse Dinge kann man sich dabei meist einigen. Bei Marx und Engels sind sich praktisch alle Sozialisten einig, danach kommen aber die ersten Schismen. „Schisma“ ist hier tatsächlich der richtige Begriff, denn ein solches Phänomen kennt man in erster Linie aus Religionen. So ist die Geschichte des Sozialismus leider davon geprägt, dass Spaltung auf Spaltung folgt, und es nur selten zu einer neuen Einheit kommt. Und die Streitpunkte liegen dabei heutzutage auch noch weit in der Vergangenheit und betreffen Handlungen, die um das jeweilige Schisma herum erfolgt sind.
Um welche Schismen geht es nun konkret? Das erste große Schisma innerhalb der sozialistischen Bewegung, welches sich bis heute auswirkt (wenn man mal die Sozialdemokratie ausklammert, die man ja heute wirklich nicht mehr zur sozialistischen Bewegung hinzuzählen kann), war jenes zwischen Marxisten-Leninisten und Trotzkisten in den 1920ern. Später folgte noch jene zwischen pro-sowjetischen und pro-chinesischen Marxisten-Leninisten in den 1960ern und jene zwischen Maoisten und Hoxhaisten in den 1970ern. Daneben gab es noch andere Strömungen, aber diese haben meist keine internationale Bedeutung erlangt.
Wenn nun heute Angehörige dieser Strömungen aufeinandertreffen, dann drehen sich ihre Streitpunkte darum was für Entscheidungen in der Sowjetunion bzw. China in den Jahren zwischen 1920 und 1980 getroffen wurden. Die Streitpunkte drehen sich hingegen äußerst selten um die Politik heute in Österreich. Die Spaltung innerhalb der Linken wäre eigentlich weniger ein Problem, wenn es um verschiedene Antworten auf heute aktuelle Fragen gehen würden. Dies würde zumindest bedeuten, dass man sich mit aktuellen Problemen beschäftigt, und verschiedene Lösungsansätze würden vielleicht verschiedene Teile des Volkes ansprechen. Allerdings haben die sozialistischen Gruppen heute meist sehr ähnliche, oft wenig überlegte Antworten auf heutige Fragen, und haben dafür genau ausformulierte Positionen für die Probleme der Sowjetunion der 20er Jahre.
Wie man das Handeln einzelner Personen bewertet, sollte doch eigentlich relativ egal sein, wenn es sich nicht unmittelbar auf die heutige Lage auswirkt. Und wir sehen ja Gruppen, die sich marxistisch-leninistisch nennen, und welche, die sich trotzkistisch nennen ein und dieselbe Politik vertreten. Gewiss, manche politische Bekenntnisse sind weniger Ausdruck dessen, dass man gewisse mit einer politischen Strömung verbundenen Ideen gut findet, als ein Deckmantel um ganz andere Überzeugungen zu verschleiern.
Viele Leute die Trotzki hochhalten tun dies vermutlich nicht deshalb, weil sie Trotzkis Ideen oder sein Handeln so ansprechend finden. Die meisten Trotzkisten sind sehr jung und haben in der Schule gelernt, wie böse der Sozialismus ist, finden allerdings die Idee einer gerechteren Gesellschaft schön. In dieser Situation bietet sich nun mal der Trotzkismus an. So muss man den Sozialismus nicht verteidigen und kann gegen den Kapitalismus sein, und gegen etwas zu sein ist sowieso immer leichter zu argumentieren als für eine Sache einzustehen.
Auf der anderen Seite gibt es Leute, bei denen man den Eindruck hat, dass sie als möglichst extrem wahrgenommen werden wollen. Diese Leute trifft man innerhalb der sozialistischen Bewegung eher in diversen marxistisch-leninistischen Strömungen. So stellen manche Leute gezielt die problematischen Seiten der sozialistischen Bewegung in den Vordergrund, und stellen diese dabei als positiv dar. Zum Beispiel gibt es Leute, die ständig die Hinrichtung der Kulaken in der Sowjetunion und die Verfolgung von Intellektuellen im China der Kulturrevolution in den Vordergrund stellen. Dies wirkt nur abschreckend und es wäre doch viel rationaler eindeutig positive Leistungen der Sowjetunion oder Chinas, z.B. im Bereich der Bildung, im Aufbau einer Industrie oder im Kampf gegen den Faschismus zu betonen. Ebenso ist die oft getätigte Aussage „XY did nothing wrong“ absoluter Schwachsinn, da bekanntlich kein Mensch unfehlbar ist.
Beide Extrempositionen sind also falsch. Die Geschichte des Sozialismus ist unsere Geschichte, man soll sich also nicht von ihr distanzieren oder sie gar verdammen. Gleichzeitig sollte man sich nicht auf die problematischsten Aspekte des Sozialismus konzentrieren und diese in den Vordergrund rücken und feiern, sondern man sollte die positiven Aspekte betonen, also die objektiven Erfolge, und derer gab es viele. Man denke nur an die Erfolge sämtlicher sozialistischer Staaten im Bereich der Bildung, die Industrialisierung der Sowjetunion oder den Aufstieg Chinas von einem der ärmsten und unterentwickeltsten Länder der Welt zu einem in Wissenschaft und Technologie führenden Land das kürzlich die Beseitigung der absoluten Armut feiern konnte. Die problematischen Aspekte kann man natürlich auch diskutieren, und manche Dinge waren wohl tatsächlich einfach nicht zu vermeiden. Man kann und soll auch die Ursachen für gewisse Maßnahmen herausarbeiten. Grundsätzlich geht es aber darum, sowohl aus den Fehlern als auch aus den Erfolgen sozialistischer Staaten und Bewegungen zu lernen. Sowohl die Distanzierung von ihnen als auch das unkritische Bejubeln sind hingegen absolut nicht zielführend.
Weiters soll uns die Geschichte der sozialistischen Staaten und Bewegungen nicht beherrschen. Wie wir uns zur Vergangenheit unserer Bewegung stellen, hat nur insofern an Relevanz, wie es die Bewegung heute betrifft. Gerade bei den beiden Extremtypen hat das durchaus an Relevanz, denn, während unser Beispiel des sich als Trotzkisten begreifenden Antisozialisten einer unrealistischen Utopie folgt und tatsächlichen sozialistischen Staaten und Bewegungen die Solidarität verweigert, wird das Beispiel des gewaltverherrlichenden Pseudo-Marxisten-Leninisten mit Zuständen werben, die sich kein normaler Mensch wünscht.
Wenn man aber für heute die richtigen Positionen hat, dann spricht nichts gegen eine Zusammenarbeit, auch wenn man die Vergangenheit unterschiedlich interpretiert. Wir können das sehr gut auf der internationalen Ebene sehen: Die Regierungen Chinas, Kubas und Venezuelas haben solidarische Beziehungen untereinander, obwohl sie die Zeit der frühen Sowjetunion unterschiedlich interpretieren. So beruft sich die chinesische Regierung auf Stalin, während die venezolanische Regierung immer wieder Trotzki hochhält und die Regierung Kubas sich auf keinen von beiden beruft. Gerade bei Theoretikern wäre es zudem eine rationale Herangehensweise manches zu übernehmen und manches zu verwerfen, da ja niemand immer richtig oder immer falsch liegt.
Zum Umgang mit Geschichte können wir uns auch anschauen, wie Bürgerliche mit ihrer Geschichte umgehen. Da z.B. Liberale sich nicht derart beweisen müssen, haben sie auch einen relativ entspannten Umgang mit der eigenen Geschichte. So halten sie in der Regel die Französische Revolution hoch, ohne deshalb die darauffolgende Terrorherrschaft der Jakobiner oder die Politik Napoleons zu idealisieren. Man wird auch kaum einen Liberalen finden, der die durch liberale Politik bewusst verursachte Hungersnot im Irland der 1840ern verteidigen würde, oder gar begeistert damit als Beispiel für erfolgreiche liberale Politik werben würde. Wenn Konservative Churchill hochhalten werden sie wohl auch eher seine Politik gegenüber den Nazis betonen als jene gegenüber Iren und Indern.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass wir unsere Geschichte als sozialistische Bewegung hochhalten sollten, aber ein unkritischer Umgang mit ihr zu vermeiden ist. Weiters sollte uns die Frage der Beurteilung gewisser Aspekte unserer Geschichte nicht spalten. Wir stehen heute vor ganz eigenen Herausforderungen. Dabei können wir mit der richtigen Herangehensweise zwar vielleicht manches aus der Vergangenheit lernen oder Inspiration finden, unser Augenmerk sollte jedoch darauf liegen die heutigen Probleme zu lösen.