„Nur das eine ist sicher: das siegreiche Proletariat kann keinem fremden Volk irgendeine Beglückung aufzwingen, ohne damit seinen eigenen Sieg zu untergraben.“ – Friedrich Engels

Friedrich Engels sah hier etwas voraus, was der sozialistischen Bewegung gefährlich werden könnte, und ihr tatsächlich einen immensen Schaden zufügte. Dafür musste er kein Prophet sein. Auch vor den Zeiten des Sozialismus gab es andere Bewegungen, die denselben Fehler machten und bei denen dieser Fehler dieselben fatalen Auswirkungen hatte. Aber schauen wir uns das Problem einmal von vorne an: Worum geht es überhaupt?

Engels beschreibt hier das allgegenwärtige Phänomen, dass ein Volk etwas angeblich oder vielleicht sogar tatsächlich besser weiß, und damit ein anderes Volk beglücken will. Dieses Motiv reicht weit zurück, wir kennen es von den Römern, welche den Barbaren die Zivilisation brachten, ebenso wie von den Christen und Muslimen, welche mit dem Schwert fremden Völkern den „wahren“ Glauben aufzwangen. Dies setzt sich in der Neuzeit unvermindert fort. Zuerst wurden das Christentum und der europäische Lebensstil nach Amerika gebracht, anschließend zahlreiche Sklaven aus Afrika, welchen man ebenfalls europäisches Gedankengut einhämmerte. Sobald die Europäer die Sklaverei abgeschafft hatten, erschienen ihnen die Afrikaner, von denen sie zuvor die Sklaven gekauft hatten, eben aufgrund ihrer Sklaverei als schreckliche Barbaren, und sie nahmen dies als Anlass dafür die europäischen Werte nach Afrika zu exportieren und sich natürlich nebenbei die Rohstoffe zu sichern.

Eines haben all diese Beispiele gemeinsam: Jene, welche fremde Völker erziehen wollten stießen stets auf erbitterte Gegenwehr. Kein Volk lässt sich gerne von außen zu etwas zwingen. Ein prominentes Beispiel für aufgezwungene Werte gibt es auch hierzulande, konkret in Tirol: Als Napoleon große Teile Europas eroberte kamen mit ihm fortschrittliche Werte. In einer Umordnung Europas kam Tirol unter die Herrschaft Bayerns, und hier kam es zu einer Reihe von Reformen im Geiste der französischen Revolution: So wurde eine Verfassung eingeführt, welche Freiheits- und Gleichheitsrechte garantierte. Ständische Privilegien wurden abgeschafft, die Konfessionen gleichgestellt. Selbst die Gesundheitsfürsorge wurde reformiert, so führte Bayern zum Beispiel als erstes Land weltweit die Pockenimpfung ein. Diese Fortschritte wurden, da von außen aufgezwungen, für die Tiroler zu Teufelszeug und es kam zum berühmten Aufstand unter Andreas Hofer. Obwohl Hofers Aufstand gegen Errungenschaften gerichtet war, die heute wohl jeder Tiroler als positiv ansieht, gilt Andreas Hofer bis heute als der Held Tirols schlechthin.

Auch im Sozialismus gab es von Anfang an Leute, welche die Revolution der gesamten Welt aufzwingen wollten. Stalin stellte sich nach dem Ende des russischen Bürgerkriegs gegen diese Leute und rief die Losung aus, den Sozialismus in einem Land aufzubauen. Nach dem Großen Vaterländischen Krieg, wie die Russen den Zweiten Weltkrieg nennen, fand sich die Sowjetunion aber in einer seltsamen Lage wieder: Halb Europa geriet unter Kontrolle der Roten Armee. Von allen Völkern Mittel- und Osteuropas hatte sich kaum eines den Sozialismus selbst erkämpft. Viele Leute waren in reaktionären, Großteils sogar faschistischen Gesellschaften verankert, und hatten eine dementsprechend negative Meinung vom Sozialismus. Wie ging nun die Sowjetunion mit dieser Situation um?

Schauen wir uns die Lage mal genauer an: Selbst befreit hatten sich einzig Jugoslawien unter Josip Broz Tito und Albanien unter Enver Hoxha. In Bulgarien und Tschechien gab es relevante kommunistische Bewegungen. Wie die Bevölkerungen Ostösterreichs und Ostdeutschlands geprägt waren ist allgemein bekannt, Ungarn und Rumänien wie auch die Slowakei waren ebenfalls faschistisch geprägt und Polen wie heute noch reaktionär-katholisch, allerdings mit einem extremen Antisemitismus. Ein Großteil Europas hatte also nicht unbedingt ideale Voraussetzungen, um einen Sozialismus zu errichten, eher im Gegenteil.

In der Sowjetunion fürchtete man nun, dass diese Länder, so man die Herrschaft über sie aufgibt, im Bunde mit den USA die Sowjetunion überfallen könnten. Immerhin hatte die Sowjetunion bereits mit der internationalen Intervention im Russischen Bürgerkrieg und dem Zweiten Weltkrieg zwei Mal die Erfahrung gemacht, von einer Reihe dieser Länder angegriffen worden zu sein. Anfangs versuchte die Sowjetunion einerseits ein gemeinsames Friedenssystem mit Westeuropa zu errichten, wie der Versuch der Erlangung einer NATO-Mitgliedschaft beweist, andererseits neutrale Zonen zu schaffen. Von letzterem zeugt der einzige Erfolg dieser Strategie: Österreich. Deutschland wäre der nächste logische Schritt gewesen, doch der westdeutsche Kanzler Adenauer verwarf das österreichische Modell mit den Worten „Lieber halb Deutschland ganz als ganz Deutschland halb“.

Das Scheitern dieser Strategie führte nun dazu, dass die Sowjetunion versuchte, in den besetzten Ländern einen Sozialismus von oben aufzubauen. Eine kommunistische Minderheit gab es in diesen Ländern, die diesen Prozess leitete, doch da eine Mehrheit für den Sozialismus fehlte blieb dieser oft wenig demokratisch. Insofern wandelte sich die innere und äußere Wahrnehmung des Sozialismus von der eines Systems der Freiheit zu der eines Systems der Unterdrückung. Tatsächlich mussten auch regelmäßig Aufstände und reaktionäre Bewegungen in diversen Ländern unterdrückt werden, und der Sozialismus untergrub, wie Engels schon richtig voraussah, seinen eigenen Sieg.

Als die Sowjetunion 1989 bis 91 zusammenbrach fiel ein sozialistisches Land nach dem anderen mit ihr. Es gab jedoch Ausnahmen: Jugoslawien, das sich seinen Sozialismus selbst erkämpft hatte musste erst vom Westen weggebombt werden, und Kuba wie auch die sozialistischen Länder Ost- und Südostasiens stehen auch heute noch, und entwickeln sich zum Teil besser denn je.

Was sich nun auch zeigte ist, dass die sozialistischen Länder, allen voran die Volksrepublik China, ihre Lektionen gelernt haben, andere Systeme in anderen Ländern akzeptieren und niemandem etwas vorschreiben. Der Westen hingegen ist bestrebt seine Werte in die Welt zu tragen und anderen Völkern aufzuzwingen. Die Geschichte zeigt, dass dies zum Scheitern verurteilt ist. Für die österreichischen Sozialisten bedeutet das, dass wir versuchen müssen unser eigenes Land zu verbessern. Verbessert man die Situation im eigenen Land, wird dieses früher oder später auch ein Vorbild für andere Länder sein, und somit verbessert man langfristig die ganze Welt. Strebt man aber danach seine Ideen direkt in der ganzen Welt zu verwirklichen, wird man nichts als Unfrieden schaffen und Misserfolg ernten.